Die Sehnsucht, ein Christ zu werden

Morgenandacht
Die Sehnsucht, ein Christ zu werden
17.10.2018 - 06:35
13.09.2018
Marita Rödszus-Hecker
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„Tagebuch des Verführers“ – als ich dieses Buch mit 16 Jahren zum ersten Mal las, konnte ich kaum glauben, dass das die Schrift eines protestantischen Theologen sein sollte. Unserem freundlichen Ortspfarrer hätte ich nicht mal die Lektüre dieses „Tagebuchs“ zugetraut, in dem es unter anderem heißt: „Es ist keine Kunst, ein Mädchen zu verführen, ein Glück aber ist es, eine zu finden, die es wert ist, verführt zu werden.“ Der Theologe Sören Kierkegaard erzählt im „Tagebuch des Verführers“ die Geschichte eines jungen Mannes, der ein unschuldiges junges Mädchen dazu bringt, ihn zu lieben und sich mit ihm zu verloben. Als es soweit ist, drängt er sie dazu, diese Verlobung wieder zu lösen. Sie soll einsehen: Liebe ist erst wirklich Liebe, wenn sie sich von allen bürgerlichen Fesseln befreit.

 

Erst später erfuhr ich, dass das Kierkegaards eigene Geschichte war. Nicht alle protestantischen Theologen haben eine so bewegte Studienzeit wie Sören Kierkegaard, geboren 1813 in Kopenhagen, gestorben 1855. Er lebte von dem Geld, das ihm sein Vater hinterlassen hatte und schrieb Bücher mit Titeln wie „Furcht und Zittern“ und „Die Krankheit zum Tode.“

Sein Werk gilt als „das letzte große Ereignis innerhalb des Protestantismus“, dabei hat Kierkegaard es weder zum Professor noch zum Bischof gebracht.

 

Kein Wunder eigentlich, denn er war davon überzeugt: Der Begriff Gemeinde sei der „Ruin des Christentums“, der Anfang vom Ende. Um den Einzelnen geht es beim Glauben, nicht um die Menge, die Vielen. Man denke nur, sagt Kierkegaard, „an Christi Wort: Wenn Du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht, auf dass die Menschen dein Fasten nicht sehen. Mit diesen Worten ist alles Reden und Geschwätz von Gemeinde, für die Gemeinde leben wollen, ausgeschlossen. Die erste Tat des Religiösen ist, die Türe zu schließen und im Geheimen zu sprechen.“ Christentum sei nicht der, wie er schrieb, „blöde Unsinn, zu dem menschliches Mitleid und Dummheit es gemacht haben.“ In Wahrheit vermag ein Mensch sich nur als Einzelner zu Gott zu verhalten.

 

Er spottete über die „theatralische Festlichkeit“ mit der in der Kirche um Gott und Jesus „herumgetanzt“ werde und meinte: „Gott und Christus müssten es müde werden und sagen: „Seid Menschen und damit Punktum; gehorcht, fürchtet, liebt; doch sonst keinen Unsinn mehr.“

 

Kein Wunder auch, dass aus Kierkegaard nie ein Pfarrer wurde. Kierkegaard führte lebenslang einen Kampf gegen die dänische Staatskirche. Er schrieb „Der Staat ist der menschliche Egoismus in seinen großen Dimensionen. Das Christentum ist zu hoch geboren, um vom Staat protegiert zu werden.“

 

Er regte sich über die „sabbernden Pastoren“ auf, die „Gott in Süßigkeit und Mondschein verwandeln und all diesen Gefühlsdusel und Unsinn Christentum nennen.“ Er wunderte sich über Gottes Langmut, dass solche Schlingel von Pastor nicht plötzlich auf der Kanzel der Schlag trifft.

Er wusste, dass er mit einer solche Einstellung nirgendwo punkten konnte. Er klagte: Ach, und all das, worüber ich Jahr um Jahr gründen und grübeln könnte, das kümmert die Menschen nicht im geringsten. Diese Geistlosigkeit von Christentum! Ich, der in Furcht und Zittern mich kaum Christ zu nennen wage, ich bin verrückt, ein Sonderling.“ Sören Kierkegaard hat die Latte des wahren Christentums hoch gehängt. Er sei dafür, das Christentum in seiner „ganzen Rücksichtslosigkeit darzustellen“. „Man urteile nicht über andere, sondern man urteile über sich selbst, dass man weit entfernt sei, dass man sich kaum einen Christen nennen dürfe, sondern dass man strebe und sich sehne, ein Christ zu werden.“ Sich danach sehnen und danach streben, ein Christ zu werden – das hätte auch unserem freundlichen Dorfpfarrer gefallen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.09.2018
Marita Rödszus-Hecker