Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen
Mitten auf dem Tisch liegt sie. Zwischen Illustrierten und Fachzeitschriften. Ich bin im Wartezimmer eines Rechtsanwalts und sehe dort - tatsächlich die Bibel. Neben bunten Blättern. Ich war schon in vielen Wartezimmern, beim Zahnarzt, beim Hausarzt und so. Überall lagen Zeitschriften, mehr oder weniger aktuell. Beim Rechtsanwalt bin ich selten. Und dann das: eine Bibel im Wartezimmer. Nicht versteckt, sondern ganz oben auf dem Stapel mit Zeitschriften. Wie zum Trost liegt sie da, denke ich. Ich weiß nicht, wer sie dahingelegt hat und warum. Aber eins weiß ich: Recht allein genügt oft nicht. Es ist schön, Recht zu haben. Noch schöner ist es, Recht auch zu bekommen vor Gericht mithilfe eines Rechtsanwalts. Aber Recht allein macht noch kein Leben. Vielleicht liegt sie deswegen da, die Bibel. Damit ich mich nicht nur auf das Recht verlasse. Dafür aber auf die Gnade.
Die Bibel ist vor allem ein Gnadenbuch. Es geht viel um Recht, das ist wahr. Es geht um die Sehnsucht von Menschen nach Gerechtigkeit. Vor allem der Menschen, die Unrecht erleben und Bitteres erfahren. Es geht in der Bibel um Hoffnung, die Bösen mögen doch bestraft werden auf Erden oder im Himmel; das stimmt alles. Zuletzt aber geht es immer um Gnade in der Bibel. Um den einen Schritt weiter, als das Recht gehen kann. Recht allein macht nicht glücklich.
Zum Glück gibt es Gnade, das Ende des Rechnens. Wie beim jungen Mann, der seine Eltern vor den Kopf stößt und weggeht, mit seinem ganzen Erbe. Das bringt er durch. Bis zum bitteren Ende. Nichts bleibt ihm. Er lebt in einem Stall und sehnt sich nach Zuhause, dem weichen Bett von einst. Schließlich macht er sich auf und fürchtet das Schlimmste. Vorwürfe, Aufrechnen, endlose Diskussionen um Recht und Gerechtigkeit. Und was erlebt er? Einfach Gnade. Der Vater steht schon freudig in der Tür; Komm rein, sagen die Eltern. Einfach nur Gnade, reines Glück ist das. So geht es nicht immer. Aber manchmal doch. Zuhause oder bei der Arbeit. Dann kann ich mir sagen: Heute mal keine Aufrechnerei. Einfach mal darüber hinweg sehen. Und still verzeihen. Gnade schenkt mehr Leben als Recht haben. Zum Glück gibt es Gnade.
Es gilt das gesprochene Wort.