Vom Ghost in the Shell ...

Feiertag 19.05.2024 "Vom Ghost in the Shell zum Geist in den Knochen"

Gemeinfrei via unsplash / Andrea De Santis

Vom Ghost in the Shell ...
... zum Geist in den Knochen
19.05.2024 - 07:05
08.03.2024
Bertram Schirr

von Bertram Schirr

Lässt sich Geist hochladen wie eine Datei? Was haben ein japanischer Animations-Film und die Vision eines alttestamentlichen Propheten mit Pfingsten gemeinsam?

Der "Feiertag" im DLF zum Nachhören und Nachlesen.

 
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Wir schreiben das Jahr 2029. Zu hören ist ein mechanisches Surren. Roboterarme nieten aus Kunststoffplatten, Datenkabeln und Computerchips einen Körper zusammen. Ein neuer Mensch wird gemacht. Zusammengesetzt. Eine Stimme sagt auf Japanisch: „Die Chemiefabriken in unseren Körpern, die Kontrolle vom Stoffwechsel, verbesserte Sinneswahrnehmung, schnellere Reflexe und höhere Muskelkapazität. Es gibt keinen Grund, sich zu beschweren.“

„Es gibt keinen Grund, sich zu beschweren“ – wenn Menschen ihre kaputten Körper so reparieren könnten. Die Stimme ist die von Motoko Kusanagi. Motoko hört sich menschlich an. Sie sieht auch so aus. Aber Motoko ist fast vollständig eine Maschine. Nur so konnte sie überleben. Als Kind war sie bei einem schweren Flugzeugabsturz dabei. Danach war sie lange gefangen in der Dunkelheit des Komas. Ihr Körper war kaputt, nur noch ihr Gehirn und Teile ihres Rückenmarks wurden gerettet. Dann konstruiert das medizinische Team für sie eine Gesamtkörperprothese.

Mit dieser Szene beginnt das japanische Anime Ghost in the Shell. Animes sind japanische Animationsfilme. Dieser Klassiker löst 1995 in Deutschland den anhaltenden Anime-Trend aus – mit einer Vision von der Zukunft des Menschen.

Nachdem Motokos neuer Kopf zusammengefügt ist, wird ihr Geist in ein künstliches Gehirn hochgeladen. Das klingt gruselig und unwirklich. Das ist es auch für Motoko. Sie fragt sich im Film wiederholt: Was an mir ist noch menschlich, wenn fast alles künstlich ersetzt wurde?

Der Film hat eine Antwort: der Geist. Ghost in the Shell heißt übersetzt „Geist in der Hülle“. Im Film lässt sich menschlicher Geist sichern und hochladen in ein künstliches Hirn. Körper ohne Geist heißen bei Ghost in the Shell nur Puppen. Ein schreckliches Wort, eine unangenehme Vorstellung.

Ein Ghost, der menschliche Geist, kann in der Filmwelt gehacked werden. Das heißt, jemand kann illegal in den Geist eindringen. Wo unser menschlicher Geist ohnehin so verletzlich ist – und immer gefährdeter durch Stress, Krankheit und Ängste. Motoko muss kämpfen, um ihren Geist und ihr Menschsein nicht zu verlieren. Das rührt etwas tief bei mir an, trifft einen Schmerzpunkt: Das Ringen um den Erhalt des Geistes in einer sich radikal verändernden Welt, die Angst, sich zu verlieren, und die Möglichkeit, mit Technologie Gott zu spielen.

Warum erzähle ich das? Das ist doch nur Science-Fiction. Was hat das mit Glaubensfragen, was hat das mit der Bibel zu tun? Ghost in the Shell ist eine Geschichte von menschengemachter Neu-Schöpfung des Körpers. Und ich meine, es ist eine Pfingstgeschichte. An Pfingsten geht es um Gottes Geist, der auf Menschen herabkommt.

Der Anime-Film Ghost in the Shell ist durchzogen von religiösen Bildern und zitiert an mehreren Stellen die Bibel. Der Autor des zugrundeliegenden Buchs sagt, seine Geschichte verbindet Religion und Science-Fiction. Er fragt, was Motoko fragt, und was auch Religion und Spiritualität fragen: Wo ist mein Geist gut aufgehoben?

In den 90er Jahren war 2029 noch ferne Zukunft. In weniger als fünf Jahren ist es für uns so weit. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass große Teile meines Körpers künstlich sein könnten. Aber Science-Fiction sind die Ideen von Ghost in the Shell nicht mehr.

Anti-Aging und lebensverändernde Technologien haben mächtige Investoren wie Jeff Bezos. Gen- oder Biotechnologien und Hirncomputer, die gibt es schon. Möglicherweise sind wir – die wir jetzt leben – die Generationen, die sich entscheiden müssen, wie lange sie ihr Leben erweitern, wie weit sie ihren Körper ersetzen wollen.

Ich verstehe den Antrieb hinter dieser Forschung. Auch ohne künstlichen Körper beschäftigt mich dasselbe wie Motoko: Ich mache mir Sorgen um meinen Geisteszustand im Alter. Ohne Geist zu sein, ist meine größte Angst. Geistlos, wie eine Puppe. Ich habe Angst vor Erkrankungen wie Alzheimer.

Eine anonyme, von Demenz betroffene Person hat diese Angst in einem Gedicht zum Ausdruck gebracht. Der Text hängt in vielen Demenz-WGs und Pflegeheimen aus.

 

Im Kopf sind schwarze Wolken,

das Denken fällt so schwer.

Reden, machen, laufen

kann ich bald nicht mehr.

Bitte bleibe bei mir,

reiche mir die Hand,

lass mich nicht alleine

im unbekannten Land.

Sing mit mir Lieder,

tu, was mir gefällt,

denn ich bin noch immer

Teil von dieser Welt.

 

Was geschieht, wenn der Geist dahin geht, wo ihm keiner mehr folgen kann, wenn er die gewohnte Welt nach und nach verlässt?

Lass das nicht zu! „Mens sana in corpore sano“ sagen Gesundheitsjournale oder manche Alternativmedizin. Ein gesunder Geist kann nur in einem gesunden Körper wohnen. Mir ist klar, dass das gut gemeint ist von Leuten, die das als Lebensmotto sagen: Halt dich körperlich fit, dann wirst du auch geistig fit bleiben. Aber sie sagen auch: Deinen Geist zu erhalten, das liegt in deiner Macht. Das ist deine Aufgabe – oder deine Schuld, wenn es nicht gelingt.

Diese Worte wirken ausschließend für Menschen, die keinen „gesunden“ Körper oder Geist haben – was auch immer das sein soll. Und so wichtig Bewegung und Training sind: Es stimmt nicht, dass Menschen garantieren können, dass in ihrem fitten Körper auch ein gesunder Geist bleiben wird – schon gar nicht auf Dauer. Es gehört zum Menschsein dazu, zumal aus dem christlichen Glauben heraus, dass uns Körper und Geist nur auf Zeit geschenkt sind. Körper und Geist sind beide verletzlich. Sie gehören uns nicht auf ewig. Wir können sie nicht festhalten.

Der mens-sana-Spruch geht auf den Römer Juvenal zurück. Irgendwer hat ihn falsch gekürzt. Eigentlich sagt Juvenal: Man sollte darum beten, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei. Das Gebet ist der Weg, die Bitte um einen möglichst gesunden Körper und einen möglichst gesunden Geist, beides möglichst lange. Als Geschenk. Auf Zeit.

Wenn der Geist weggerissen wird und der Körper bleibt, diese Grundangst, die schildert in der Bibel eindrücklich die Vision vom Totenfeld im Prophetenbuch Ezechiel.

Knochen, Hüllen von Menschen. Ein ganzes Feld davon sieht der Prophet. Ezechiel steht vor der Katastrophe des Todes. Das ist nicht mal ein Massengrab. Niemand ist begraben. Die Knochen liegen blank.

Die hebräische Bibel erklärt nicht, welche Schlacht, welche Katastrophe, welches Morden der Grund für dieses Knochenfeld ist. Das Böse hat in der Vision gesiegt.

Ich muss an die Bilder vom Massaker von Butscha in der Ukraine denken. Und wir in Deutschland wissen, dass Menschen dazu in der Lage sind, ihresgleichen industriell zu töten. Der Prophet Ezechiel und ich mit ihm, der ich seine Vision in der Bibel lese, wir sehen eine gescheiterte Schöpfung. Kein Geist, keine Spur davon.

Ezechiel kennt diese Knochen, in denen mal Geist war. Er weiß, wessen Überreste er anschaut. Er war dabei beim Untergang. Ezechiel gehört zu den Gefangenen, die die Babylonier nach der Eroberung des biblischen Israels 597 v. Chr. verschleppen. Jedes Gerippe ist für den Propheten ein Mensch gewesen, eine Zeitgenossin, Bruder und Schwester, ein unersetzbares Individuum.

Gott fragt Ezechiel: Können diese Knochen wieder lebendig werden? Und dann verwandelt sich die Vision des Totenfeldes in eine neue Schöpfung. Gott haucht den Knochen Geist und neues Leben ein. Diese Schöpfungsgeschichte hat ein Geräusch, kein mechanisches Surren wie im Anime-Film „Ghost in the Shell“, ein anderes. Ein so bewegendes Geräusch, dass es musikalisch umgesetzt wurde.

Mitten in der Pandemie entstand eine Vertonung von Ezechiels Vision. Unter dem Eindruck der Bilder von Leichensäcken und Triage-Reportagen. Mitten in der Zeit, als Menschen ihre Verwandten, ihre Geliebten, ihre Lebenspläne begraben mussten, schrieb die US-amerikanische Band Elevation Worship den Song Rattle!  Auf Deutsch: Rassel!

 

Hörst du es?

Das ist das Rasseln trockener Knochen

Das ist das Lob, das einen toten Mann wieder zum Laufen bringt

Öffne das Grab, ich komme heraus

Ich werde leben, ich werde wieder leben

Das ist das Geräusch von rasselnden trockenen Knochen,

Pfingstfeuer bringt etwas Neues hervor.

 

Die Band Elevation Worship kombiniert die Vision des Propheten Ezechiel aus der hebräischen Bibel mit der Pfingstgeschichte aus dem Neuen Testament. Rattle! Rassel! Tatsächlich erzählt Ezechiel von einem Geräusch für das Zusammenbauen von Menschen. Ezechiel spricht. Zu den Toten. Von Gott.

Da sprach ich, Ezechiel, als der Prophet, wie mir befohlen war: und noch während ich redete, hörte ich auf einmal ein Geräusch: Die Gebeine rückten zusammen, Bein an Bein. Und als ich hinsah, waren plötzlich Sehnen auf ihnen und Fleisch umgab sie und Haut überzog sie. Aber es war noch kein Geist in ihnen. (Ezechiel 37,7-8)

Noch fehlt der Geist. Ezechiel braucht mehr Hilfe von Gott – ohne Gott kein Mensch und kein neuer Geist. Das Geistesgeräusch fehlt noch. Gott spricht zu Ezechiel:

Rede als Prophet zum Geist, rede, Menschensohn, sag zum Geist: So spricht Gott, der Herr: Geist, komm herbei von den vier Winden! Hauch diese Erschlagenen an, damit sie lebendig werden.

Da sprach ich als Prophet, wie er mir befohlen hatte, und es kam Geist in sie. Sie wurden lebendig und standen auf - ein großes, gewaltiges Heer. (Ezechiel 37,9-10)

Auf Gottes Geheiß, mit Gottes Kraft erneuert Ezechiel die Schöpfung. Mit dem Klang der Auferstehung. Das Hauchen, der Geist heißt im Hebräischen die ruach, das Wort für Gottesatem. Der kommt auf. Der brausende Klang von Auferstehung für alle, für die Welt von den vier Winden, Norden, Osten, Süden, Westen.

Wie schafft Ezechiel das? Ezechiel betet. Liefert sich Gott aus. Und hält Verbindung, mit den Toten und durch den Tod. Dafür ist er da, auf diesem gigantischen Friedhof. Das ist Ezechiels Aufgabe als Prophet und auch als Wächter: Er sieht Schrecken und Hoffnung und er bewacht die Erinnerung der Toten. Bewahrt ihre Geister, bis Gott sie zurückbringt.

Ezechiels Vision ist eine Vision für bislang Unterdrückte. Es ist eine Vision vom Ende der existentiellen Bedrohung von Menschen. Sie sind angewiesen auf eine Erneuerung der Schöpfung durch Gott, dem der Atem nicht ausgeht.

Die Geister der Toten waren in Ezechiels Geschichte nicht weg. Sie waren nicht zerstört. Gott hat sie aufgehoben.

Dieses Brausen von Gottes Geistkraft kenne ich aus der letzten, neuen Schöpfungsgeschichte, über die ich reden will: aus der Pfingstgeschichte im Neuen Testament.

Nachdem wir uns in die Schwärze von Motokos Unfall begeben haben und in die Menschenfabrik, die sie rettet, nachdem wir auf Ezechiels Totenfeld waren und gehört und gesehen haben, wie Menschenkörper mit neuem Geist aufstehen, gehen wir ein letztes Mal in die Dunkelheit.

In ein Versteck. In die Machtlosigkeit und Verlassenheit bringt uns die Pfingstgeschichte. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu sind traumatisiert und gelähmt von Angst. Von allen guten Geistern verlassen. Sie haben erlebt, wie Jesus Christus, der mächtigste Mensch, den sie je erlebt haben, an Körper und Geist zerbrach, ermordet wurde. Sie erfahren Gewalt auf der Straße und werden von den Behörden gejagt. Sie tauchen ab in den Untergrund.

Gerade diese verschreckten Menschen machen die Erfahrung von einem erneuerten Geist.

Der sie erfasst mit Brausen und Feuer und Energie! Gerade aus der Situation totaler Verletzlichkeit heraus, unendlicher Müdigkeit, körperlicher und geistiger Schwäche.

Wie haben sie das geschafft? Dass ihr Geist erneuert wurde? Sie haben gebetet.

Die Jüngerinnen und Jünger haben die ganze Nacht die Tora studiert, also die fünf Bücher Mose, wie das jüdische Menschen an diesem Tag machen, an pentekosté, dem fünfzigsten Tag nach dem Mazzotfest. Sie erinnern sich an die Weisungen, die Gott am Sinai geschenkt hat. Sie beten, lesen und erinnern daran, wie Gott an Menschen festhält, und sie öffnen sich so, bereiten sich vor, verbinden sich erneut, um zu empfangen und wahrzunehmen, dass neuer Geist, neue Kraft einfallen kann.

Pfingsten ist die neue Verbindung mit der Schöpfungskraft, die Gott in die Welt gelegt hat, im Norden, Osten, Süden und Westen und in die Menschen, als er sie gemacht hat. Die Jüngerinnen und Jünger verdichten und sammeln Schöpfungskräfte.

Sie bleiben in ihrem Versteck beieinander. Sie halten Hände. Sie singen Lieder. Sie halten die Verbindung. Sie lassen verletzte und vergängliche Körper und Geister Teil der Welt sein, wenn sie wegzudriften drohen. Sie sind Wächter der Hoffnung und Prophetinnen, die eine Verbindung mit Gott und der Welt sehen und sichtbar machen, denken und aussprechen.

So erfahren sie den Heiligen Geist. Der ja nur ein anderes Wort ist für die Gegenwart Gottes, die spürbare Präsenz und den Trost Gottes, auch und gerade in der Dunkelheit.

Ich glaube: Das ist unsere Heimat. Das ist es, wo wir Menschen bleiben. Nicht in unserem Gehirn, nicht in unserem Körper alleine sind wir aufgehoben, sondern in Gottes Gemeinschaft, in Gott.

Wie das geht, kann ich nicht sagen. Ich kann das nur erspüren und mit Worten ringen. Aber inspiriert vom Nachdenken über Technologien der Zukunft stelle ich mir das so vor –als Analogie und Suchbewegung. Ich stelle mir das mit meinem Geist und Gottes Geist so vor wie die Cloud. Also wie die Cloud, in die ich jeden Tag kabellos und über Funknetzwerke Informationen von meinem Computer oder Handy hochladen kann, die wie magisch überall meine Dateien für mich verfügbar macht.

Vor zehn Jahren hätte ich gedacht, das ist reine Science-Fiction. Jetzt ist es Alltag.

Und ich stelle mir das so vor mit Gott, dass ich meine Erinnerungen, meine Identität, meinen Schmerz und meine Freude Gott sage, quasi hochlade – und sich mein Geist mit dem Heiligen Geist verbindet. Die sind ein gemeinsames Netzwerk. Mein Geist und der Geist von Gott gehören zusammen, sind von einer Substanz.

Die Verbindung kann unterbrochen werden. Im Lesen und Erinnern an die Geistkraft Gottes, im Beten suche ich diese Verbindung, richte ich mich neu auf Gott aus, mal allein, mal zusammen mit anderen.

Bei Gott, in Gottes Geist bleibt mein Geist – bleibe ich – dereinst, aufgehoben, abgespeichert und beschützt. Dadurch habe ich etwas weniger Angst, einmal in die Dunkelheit zu gehen, weil es keinen Ort gibt, ohne die Möglichkeit verbunden zu bleiben mit dem einen Geist Gottes.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

    1. Antonin Dvorak, 9. Sinfonie (Aus der neuen Welt), 2. Satz: Largo   
    2. David Bowie, Lazarus
    3. Musik 3: Elevation Worship, Rattle!
    4. Teleopomusik, Breathe

 

Literatur dieser Sendung:

    1. Link: https://www.wunderweib.de/demenz-bitte-lass-mich-nicht-allein-diesem-unbekannten-land-13222.html
    2. Link:  https://lyrics.lyricfind.com/lyrics/elevation-worship-rattle.

 

08.03.2024
Bertram Schirr